Beschäftigung für Heimtiere: Warum Langeweile zum Problem werden kann

Schon der Lyriker Rainer Maria Rilke beschrieb 1902 in seinem Gedicht „Der Panther“ – „Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte, der sich im allerkleinsten Kreise dreht“ – eindrücklich die dramatischen Folgen einer nicht verhaltensgerechten Tierhaltung. Zoologische Gärten haben die Konsequenzen aus ihren früheren Fehlern gezogen und versuchen heute unter anderem durch ein vielfältiges Beschäftigungsprogramm, Langeweile und daraus resultierende Verhaltensstörungen bei ihren Tieren zu vermeiden und somit deren Lebensqualität zu erhöhen. Welche Nutzen können Tierhalter aus diesen Erfahrungen ziehen und für welche Heimtiere ist Beschäftigung sinnvoll?

Ein Futterball als Enrichment für Kleintiere. Foto: IVH/BNA-Hirt

Warum Langeweile entsteht

In ihrem natürlichen Lebensraum werden Tiere – unabhängig von ihrer Art – mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert. Hierzu gehören vor allem die zeitintensive Suche nach Nahrung und Wasser sowie geeigneten Partnern oder Revieren. Gleichzeitig müssen sie sich vor Fressfeinden schützen oder ihr Revier gegen ungewollte Konkurrenten verteidigen. Hinzu kommt, dass sich die Umwelt permanent verändert und die Tiere auch darauf adäquat reagieren müssen. In einer vorbildlich eingerichteten Voliere oder einem Gehege bleibt von diesen (natürlichen) Herausforderungen und Aufgaben jedoch kaum etwas übrig. Futter und Wasser sind ständig vorhanden und beides befindet sich an seinem gewohnten Platz. Fressfeinde können die Pfleglinge nicht erreichen und im Falle von Nahrungskonkurrenten wird ausreichend Futter für alle Tiere zur Verfügung gestellt, sodass niemand hungern muss. Ein solch eher reizarmes „Paradies“ kann letztendlich zu Langeweile und damit zu schwerwiegenden physischen und psychischen Gesundheitsstörungen führen. Dazu gehören etwa Verhaltensstörungen, die nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Lebenserwartung der Tiere teilweise deutlich reduzieren. Besonders betroffen sind dabei Vögel und Säugetiere, die aufgrund ihrer evolutionären Entwicklung über komplexe Verhaltensweisen verfügen. Normale Tätigkeiten, etwa die Gefiederpflege bei Vögeln, werden dann immer häufiger wiederholt oder intensiver durchgeführt, bis sie irgendwann zu einem schädlichen Federknabbern oder gar Rupfen ausarten. Aber auch bei Reptilien und sogar bei Amphibien und Fischen mehren sich die Hinweise, dass diese Tiere unter Langweile leiden können.

Tipps gegen Langeweile

Um Langeweile zu vermeiden und die Lebensqualität der Pfleglinge zu steigern, gibt es mehrere Möglichkeiten, die gut miteinander kombiniert werden können. Die Bereitstellung von möglichst viel Platz ermöglicht den Tieren, sich Mikrohabitate und Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen. Je nach Tier oder Tierart lassen sich auch mehrere Pfleglinge als „Spielgefährten“ in einer Gruppe halten. Zusätzliche Beschäftigung, wie das Erarbeiten von Futter, sorgt für Unterhaltung und stärkt die kognitiven Fähigkeiten. Wie die einzelnen Aspekte umgesetzt werden und welche sich besonders eignen, ist nicht nur abhängig von der Tierart und ihren natürlichen Verhaltensweisen, sondern letztendlich auch von den individuellen Fähigkeiten des Tieres. Viele Tiere reagieren auf Veränderungen ihrer Umwelt im ersten Moment panisch oder haben Angst vor unbekannten Gegenständen. Gerade bei älteren oder ängstlichen Tieren sollte jede Veränderung daher langsam und nur unter Kontrolle erfolgen.

Platzangebot: Schon bei der Auswahl sollte darauf geachtet werden, möglichst große Gehege zu erwerben. Idealerweise sind diese größer, als es in den jeweiligen „Gutachten über die Mindestanforderungen“ empfohlen wird. Denn je mehr Platz vorhanden ist, desto mehr Möglichkeiten haben Tierhalter, die Gehege verhaltensgerecht einzurichten. Bestehende Gehege können gegebenenfalls mithilfe von Etagen, Zwischenwänden oder auch modularen Erweiterungen ergänzt und somit aufgewertet werden. Der Zoofachhandel berät hier gerne.

Bei vielen Arten, wie Ziervögeln, Kaninchen und Meerschweinchen, muss zusätzlich noch Freiflug bzw. Freilauf angeboten werden. Hierfür eignen sich entsprechend ausgestattete Zimmer oder abgetrennte Bereiche, die keine Gefahren für die Tiere aufweisen (etwa Zimmerpflanzen) und von diesen ständig oder zumindest stundenweise genutzt werden können. Die den Tieren zur Verfügung stehende Fläche sollte entsprechend gestaltet und abwechslungsreich eingerichtet werden. Über Sitzplätze (idealerweise an Fenstern) und Spielplätze für Vögel oder Buddelkisten und Höhlen für Kaninchen freuen sich die tierischen Mitbewohner besonders.

Futterangebot verändern: Damit die Tiere nicht nur zwischen Schlaf- und Futterplatz „pendeln“, kann zumindest ein Teil des Futters im Gehege verteilt oder etwas schwerer zugänglich angeboten werden. Das mag sich im ersten Moment zwar gemein anhören, aber die Suche und damit das Erarbeiten von Futter gehört bei vielen Tierarten zum natürlichen Verhalten und ist sehr zeitaufwendig. So benötigen beispielsweise Wellensittiche in ihrem natürlichen Lebensraum ca. 80 Prozent der Tageszeit für die Suche nach Futter. Studien mit Graupapageien haben gezeigt, dass die Tiere Futterangebote bevorzugen, bei denen sie sich ihr Futter erarbeiten müssen. Folgende Möglichkeiten gibt es, die Futtersuche bzw. Aufnahme zu verlängern:

-       Energiearmes Futter anbieten: Manche Futterbestandteile wie Sonnenblumenkerne oder Nüsse sind relativ groß und haben einen hohen Energiegehalt – die Tiere werden hiervon schnell satt. Energiereduzierte Futtermischungen bestehend aus kleineren Sämereien können dabei helfen, Langeweile zu verhindern, da die Tiere einfach mehr Zeit aufwenden müssen, um von den kleinen Nahrungsbestandteilen satt zu werden. Auch Frischfutter, wie Gemüse, Salate und Kräuter sowie ein wenig Obst, verlängert die Fresszeiten und ist zudem noch gesund.

-          Zugang zu Futter erschweren: Futter kann an nicht so leicht zugänglichen Stellen platziert oder sogar versteckt werden. So lässt sich zum Beispiel ein Teil des (Körner-)Futters für Hamster oder Rennmäuse als eine Art Suchspiel auf die Einstreu verteilen. Karotten und anderes Gemüse, welches leicht erhöht angeboten wird, animiert die Tiere zum Klettern. Der Futternapf für Vögel kann von der Decke abgehängt werden, sodass er nur fliegend erreicht werden kann. Besondere Leckerlis lassen sich schnell und einfach in Pappschachteln, Papiertüten oder einfach nur in Papier einwickeln, und sorgen beim Auspacken für Aktivität im Gehege. Für eine Erarbeitung des Futters können auch Futterspielzeug, Futterbälle, -spieße oder -klammern gute Dienste leisten.

Soziale Gruppen: Insbesondere bei natürlicherweise in Gruppen lebenden Tierarten – hierzu zählen fast alle haltungsrelevanten Ziervögel und Kleinsäuger – sind Artgenossen eine hervorragende „Beschäftigungstherapie“. Aber welches ist die ideale Haltungsform? Einige Arten, beispielsweise Wellensittiche oder Meerschweinchen, fühlen sich nachweislich in der Gruppe (Schwarm, Rudel) von mindestens 4 Tieren wohler als bei einer paarweisen Haltung. Idealerweise sollte die zukünftige Gruppengröße schon bei der Anschaffung der Tiere geklärt werden, da sich junge Tiere deutlich einfacher vergesellschaften lassen.

Zusätzliche Beschäftigung: Neben ihrem gewohnten Umfeld sollten Tiere immer wieder gezielt mit neuen Impulsen und Aufgaben konfrontiert werden, die es ihnen ermöglichen, ihre Sinne und Fähigkeiten einzusetzen, und Neues kennenzulernen. Eine Möglichkeit hierfür ist ein gezieltes Training, beispielsweise Clicker-, Target- oder Agility-Training. Neben Kenntnissen in der korrekten Durchführung der jeweiligen Trainingsmethode ist ein kontinuierliches Üben entscheidend für den Erfolg. Eine abwechslungsreiche Beschäftigung kann aber auch mit weniger Zeitaufwand erfolgen: Für Ziervögel bieten sich frische Äste mit Blättern von Laubbäumen an. Rennmäuse oder Hamster lassen sich mit etwas zusätzlichem Heu, Stroh und Körnern in einer Pappröhre oder einem Karton unterhalten. Wenn die Körner gefressen sind, kann der Karton als zusätzliches Spielmaterial zernagt und zerlegt werden. Mit ein wenig Fantasie lassen sich viele Möglichkeiten kreieren, um den tierischen Mitbewohnern das Leben abwechslungsreicher und spannender zu gestalten. IVH/BNA